Das Festland hat uns wieder!

Der anspruchsvollste Abschnitt des Törns liegt hinter uns und wir sind wohlbehalten wieder auf dem norwegischen Festland eingetrudelt… oder besser angespült. Irgendwie hatten wir vor diesem Abschnitt den meisten Respekt, wie sich herausstellte mit Recht…

 

 

Am letzten Freitag in Longyearbyen gehen wir mit unserer scheidenden Crew und einem Teil der neuen nochmal richtig schön essen, im besten Lokal am Platz: eine lohnende Investition. Das Restaurant ist im alten Versammlungshaus von Longyearbyen und dient auch heute noch zum Teil als Theater/Kino/Veranstaltungsort für Großversammlungen mit einem liebevoll erhaltenen 60/70er Jahre Charme… und es liegt direkt unterhalb der alten Kohleförderungsstätten und den Schachteingängen, welche nun als verfallenen Ruinen und Holzhaufen an den mit Schotter bedeckten Berghängen kleben. Idyllisch ist was anderes. Wir gewöhnen uns irgendwie nicht an diese  unzugängliche Landschaft. Interessant: ja!  Einzigartig : ganz sicher! Aber die beruhigende Wirkung, welche Natur normalerweise hervorruft, bleibt bei uns aus.

 

 

Am nächsten Morgen hat sich die Crew mit dem letzten nächtlichen Flieger vervollständigt und wir zockeln mit Suse, Rob und Heike Richtung Barentsburg. Eigentlich war meine Cousine Swanni noch eingeplant, jedoch machte ihr eine schwere Erkältung einen dicken Strich durch die Rechnung und wir mußten ihr, auch mit Rücksicht auf die restliche Crew und die bevorstehenden Strapazen, vom Antritt der Reise abraten: Süße, du bekommst nochmal eine Extra-Swanni-Spezial-Tour nur für Dich, quietschfidel, warm und mit bestem Wetter!!

 

 

Da waren es nur noch sechs. Das Wetter wie immer: Niesel, Nebel, kalt. Barentsburg für einen Teil der Crew jetzt zum dritten Mal im gewohnten russischen Schlodderlook, jetzt noch mit lautem akustischem Background, da gerade Kohle gefördert und per Fließband auf die Lagerstätte geworfen wird. Wir klappern die einschlägigen Punkte am Ort ab und bekommen noch etwas tiefere Einblicke, da Suse des Russischen mächtig ist und uns die salbungsvollen, Sinn-schwangeren Parolen, die allerorten prangen vorlesen kann. Danach verpieseln wir uns in den Pub. Wohin sonst 😊 Das Bier ist wie beim letzten Mal sehr gut und dank der üppigen Burger-Grundlage haut es uns diesmal auch nicht ganz so aus den Socken. Wir schaffen den Rückweg in die Koje ohne Zwischenfälle, mit einem kleinen Abstecher in den Souvenirshop.

Eine illustre Ansammlung der handwerklichen Aktivitäten der Damen des Ortes. Zum Piepen. Dort erstehe ich den Inklusions-Vogel. Ich wußte nicht so recht was das darstellen sollte, aber das Vieh war so häßlich, daß ich mir sicher war, er würde irgendwann wegen Unverkäuflichkeit in der Mülltonne landen und das konnte ich nicht zulassen 😊

 

Am Sonntag in den Bellsund nach Reinholmen, wo wir auf dem Hinweg schon gelegen hatten. Diesmal mit etwas mehr Sicht und wir sind wieder von der Qualität der Ankerbucht und dem Panorama begeistert. Mit Ach und Krach können wir ein paar Rentiere auf den „Wiesen“ ausmachen, so daß die neue Crew wenigstens etwas Getier zu Gesicht bekommt. Bis jetzt war das noch nicht so doll.

 

Am nächsten Morgen fahren wir an den Recherche-Gletscher ran, da Suse Eisschollen auf der to-do-Liste hat. Eisschollen - Check! Eine unserer leichtesten Übungen. Dann der Versuch, Fleur de Lys mit den umgedrehten Fischerbooten zu besuchen, aber wegen des wohlbekannten Spitzbergener Sommerwetters (ich erwähnte es bereits: Niesel-Nebel-kalt) und 100m Sicht ist an einen Landgang nicht zu denken. Wenigstens können wir eine Bucht weiter historische Berge von bleichen Belugawal-Knochen mit dem Fernglas besichtigen. Wieder so ein Ort, der einem das Sterben nur so um die Ohren haut. Dann ab  Richtung Hornsund… wir machen Dampf und wollen die Überfahrt aufs Festland so schnell wie möglich hinter uns bringen. Vorher schlottern wir uns aber nochmal so richtig einen ab. Die Fahrt bis in den Hornsund dauert wegen Wind gegen an bis Dienstagmorgen. Es ist lausig. Nebel-Niesel-Ar…kalt. Nicht einmal mehr Sicht als 200m. Deprimierend. Kältetechnisch ein Tiefpunkt. Unsere Hoffnung, im Hornsund nochmal die Polenstation zu besuchen wird enttäuscht: die Bucht ist voll Eis und wir brechen eine spooky-abenteuerliche Fahrt unter Motor im Nebel durch das immer dicker werdende Eis ab. Selbst im offenen Hornsund treiben noch die dicken Klopper. Wir hoffen im Süden auf eine Ankerbucht, die hoffentlich eisfrei ist. Nach zwei Stunden gehen wir im nebeligen Nichts bei 6m Wassertiefe vor Anker. Laut Plotter perfekt in der Mitte der besagten Bucht. Sehen tun wir nix😊 Wir sind durchgefroren und im Eimer und schlafen bis nachmittags. Um drei dann Frühstück und der Plan, abends Richtung Festland aufzubrechen. Der norwegische Wetterbericht ist mal wieder vollständig für die Füße: nix von dem Vorhergesagten ist in den letzten 48 Stunden eingetroffen und die Vorhersage für die nächsten 48 Stunden hat alle Himmelsrichtungen zu bieten. Wir nehmen eine einzige Aussage für voll: gale or storm ist not exp in all areas covered by this bulletin  (kein Sturm oder Starkwind in allen Vorhersagegebieten). Ok ihr Nasenbären, dann wollen wir euch mal zumindest das glauben.

 

Merle und ich sind mürbe.

 

Acht Wochen motivieren wir uns jetzt jeden Tag: das schaffen wir, denk an den Rückweg! (Merles Schichtsystem: Thermo-Unterhemd, Thermo-Langshirt, Kaschmir-Rollkragen-Pulli, Vliesjacke, zweite Vliesjack, Vlies-Overall, Steppweste, Ölzeug-Jacke…. Noch Fragen?)

 

Jetzt wollen wir nicht mehr frieren! Wir sagen der Kälte den Kampf an und zücken den ultimativen, allerdings auch letzten Jocker: Wärmepads! Vom Munde abgespart, gehortet und behütet, vor gierigen Crewmitgliedern versteckt, immer bedenkend, es kann noch schlimmer kommen, teilen wir die kostbaren kleinen Päckchen auf und bekleben uns die Füße und Hände….. boah ist das geil!!!! Wir werden die Queens der Wärmepads und wir rechnen uns begeistert aus, daß die Anzahl bis zum Festland locker reichen wird. In Gedanken beschließe ich mich im Zweifel bis zum Knie und Ellbogen mit den Dingern zu bekleben: es sind ja genug da!

Und dann kommt alles ganz anders: zuerst können wir noch segeln, dann schläft der Wind ein (nicht vorhergesagt… ach was!), wir kämpfen ein paar Stunden noch mit Schwachwind platt-vorm Laken und ertragen das laute Klatschen des Segels und Klappern unter Deck, bis wir entnervt aufgeben und wir motoren… und motoren… und motoren… das Schiff ist warm da Motor-sei-Dank die Heizung mitlaufen darf…. öttel…öttel…öttel… Wir bekommen Besuch von etlichen Delfinen, weit weg auch ein paar Finnwale, etwas näher dran ein paar Minkys. In Sichtweite vor Björnöa baut sich wieder die altbekannte dämliche Welle auf, Schwell aus Ost, leichter Wind aus Südwest, zu wenig zum Segeln, wir ötteln mit Motor dadurch, es ist zum Heulen. Donnerstagmorgen dann im Süden von Björnöa vor Anker. Ziemlich schöne Ankerbucht trotz des insgesamt so abweisenden Charakters dieses entlegenen Fleckchens. Wir duschen. Was für eine Verschwendung, da uns die nächsten drei Tage eh keiner riechen wird und untereinander merken wir eh nix 😊… dann futtern bis die Hose platzt und knacken. Kraft tanken für den letzten Abschnitt. Der Wetterbericht vom Navtex ist wieder indifferent.

Donnerstagabend machen wir uns wieder auf den Weg. Björnöya versinkt langsam im Nebel und wir sind uns alle ziemlich sicher, daß wir dieses Fleckchen Erde nie wieder sehen werden. Zunächst ist alle recht malerisch, spiegelglattes Wasser, in welchem sich die flach über dem Wasser fliegenden Eisturmvögel spiegeln, dusseliger Schwell aus allen Richtung, wir ötteln lustig weiter. Im Laufe des Freitags sehen wir auf dem AIS die MS Bremen von hinten aufholen und via VHF bedanken wir uns nochmal artig für den tollen Duschservice, den Bierproviant, erkundigen uns nach dem verletzten Eisbärenwächter und bitten zu guter Letzt noch um einen aktuellen Wetterbericht. Nach ein paar Minuten meldet sich die MS Bremen zurück und gibt uns durch, daß wir ab Freitagnacht zunehmend Wind und am Samstag etwas auf die Mütze bekommen, so 6-7 Windstärken. Der norwegische Wetterbericht kündigt uns 5-6 für Samstag an. Wir beobachten aber schon länger den Barographen und gucken auf die Wetterlage. Leute, seid ihr euch da sicher? Wir sind auf 72 Grad, das Tief auf 70.. wir haben 1015 hPa.. das Tief 995 … 120 Meilen entfernt. Wir können rechnen, der Wetterdienst anscheinend nicht. Noch sind die Bedingungen ruhig und wir können uns in Ruhe vorbereiten. Etwas ungläubig- kulleräugig werden wir von Teilen der Crew verfolgt: alles über und unter Decke nochmal extra festzurren, Ladung gegen Verrutschen sichern, Verpflegung vorbereiten, Pützen in die Bäder, Reisetabletten verteilen, Ersatzklamotten zurechtlegen, Instruktionen an die Crew, aber der Plan ist eh, alle einzusperren und Kay und ich machen durch. Der Barograph befindet sich jetzt im Sturzflug und wir rollen die Fock zur Hälfte weg, etwas zu früh vielleicht, aber später bereuen wir das nicht. Suse und Merle halten ihre Wache noch standhaft durch, inzwischen bei 35 Knoten Wind, kurze Zeit später aber werden die Wachen abgesagt und Kay und ich stehen alleine draußen und wechseln uns im Halbstundentakt am Ruder ab. Wir kennen das schon. Die Fock hat inzwischen Handtuchgröße und die Wellen kommen von allen Seiten. The Devil´s Dance Floor macht seinem Namen alle Ehre. Wir werden von oben und unten gespült, wenigstens wird das Cockpit sauber 😊 Jetzt sagt der norwegische Wetterbericht übrigens severe gale force 9 und wave height 6m voraus … was für Schnarchnasen, aber welch ungewohnte Akkuratesse plötzlich an dieser Stelle, nur 12 Stunden zu spät)

 

12 Stunden später ist das norwegische Festland in Sicht, Kay und ich haben lange Arme und Muskelschmerzen und die ersten bleichen Nasen gucken aus dem Niedergang. Erstaunlich: keiner hat gekotzt! Danke danke danke!  Rob beschwert sich, daß er nicht mehr liegen kann: Junge ich habe im Moment kein Mitleid mit deinem Luxusproblem 😊 Als sich die Luke öffnet rümpfen Kay und ich die Nase: unter Deck stinkt es wie im Affenstall! Quasi die Essenz aus 12 Stunden ungelüftetem Innenraum trotz Duschen auf Björnöya schlägt uns, die wir über 12 Stunden im Wind gestanden haben, entgegen. Der Restcrew ist es sichtlich peinlich und hektisch werden die Deo-Dosen gezückt😊

 

Wir konnten Torsvag halten und erreichen mit komfortabler Resthöhe um acht Uhr einen windstillen Hafen… paradiesisch! … und Handyempfang! Phänomenal! Schnell werden alle zu Hause benachrichtigt. Heimlich streichele ich unser Schiffchen: gut macht mein Mädchen! Die Karre hat sich mal wieder voll bewährt😊

 

Sonntag kommen wir kaum aus den Betten: um halb zwölf ergehen wir uns in Völlerei mit Merles Pancakes (DAAAAAAAAAAAANKE Nele für das Rezept. Wir lieben es! Es ist ein GEEEEENUUUUUSSSS) Dann wird die Taskforce „Duschen-Hafengebühr-Fisch“ gegründet und Suse, Merle und ich stapfen an Land (das erste Mal seit einer Woche Land unter den Füßen) und schleichen um das Anglercamp am Hafen. Schnell stellt sich heraus, daß das mit Duschen nix wird, es allerdings auch niemanden gibt, der hier eine Hafengebühr haben will. Bleibt nur noch der Fisch fürs Abendessen. Wir lauern einem kleinen Boot vom Anglercamp auf, das gerade anlegt. An Bord drei Polen … und ein Fisch! Wir erklären den dreien unser Anliegen fish- for- dinner und unser Wimperngeklimper hat Erfolg. Oder die magere Ausbeute ist den drei großén Kerlen einfach nur peinlich 😊 Jedenfalls holt einer eine andere Angel, stellt sich auf die Kaimauer und verkündert großspurig uns innerhalb von 10 Minuten unser Abendessen zusammenzuangeln, wenn wir keine besonderen Ansprüche an den Fisch stellen würden. Beggars can´t be choosers. Gespannt stellen wir uns neben unseren Retter uns verfolgen seinen Fangerfolg. … er braucht etwas mehr als eine Viertelstunde 😊 beeindruckend! Zur Belohnung gibt es vier Bier und ein Küßchen und stolz wackeln wir mit sechs Fischen unbekannter Gattung von dannen. Ratzi Fatzi haben wir in der Pfanne und verputzt: Lecker!

 

Wir haben es übrigens jetzt mit einem ganz ungewohnten und in Vergessenheit geratenen Naturphänomen zu tun: es wird dunkel! Nicht so richtig dunkel aber man muß um ein Uhr nachts das Licht anschalten. Wie unpraktisch!

 

Einen extra Abschnitt muß ich jetzt mal dem Rob widmen. Holländer und von Suse importiert. Holländer haben nen Knall. Ich kenn keine andere Nation die so gerne und so viel Blödsinn macht und so herzlich über sich selbst lachen kann wie die Holländer. Und Rob ist ein niederländisches Prachtexemplar. Der kriegt die Mundwinkel in diesem Leben nicht mehr nach unten und hat einen unerschöpflichen Vorrat an guter Laune. Volltreffer Suse: behalten!

 

 

to be continued....